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Anfang 1983 erzählten mir meine neuen Künstler-Freunde Camille Philibert und Jacques-Élie Chabert, sie wollten ein Graphzine herausgeben und fragten, ob ich Lust hätte, mit Bildern daran teilzunehmen. 

“Was zum Teufel ist ein Graphzine?” fragte ich und sie versuchten geduldig, es mir zu erklären.

Aber wie erklärt man jemandem, der so etwas noch nie gesehen hat, was das ist? So etwas Ähnliches wie eine Zeitschrift sei es. Aber es würden vorwiegend eigene Bilder abgedruckt. Also sei es auch so etwas Ähnliches wie eine kleine Kunstausstellung. Eine Ausstellung in Form eines Heftes – ich verstand kein Wort.

Da ich aber immer Lust auf Neues hatte und auf Ausstellungen sowieso, gab ich ihnen ein paar meiner Bilder und sagte, sie sollten damit machen, was sie wollten. Ich wusste noch immer nicht, was das werden sollte, konnte mir aber nicht vorstellen, dass wirklich etwas Vernünftiges dabei heraus kommen könnte. Und vor allem: wer sollte so etwas kaufen und wo? 


Toi et Moi pour Toujours #1

DeePee: Glücksan

Mittels Fotokopierer aufgeblasene Anzeige für ein Potenzmittel aus einem Groschenroman. Die unperfekte Art der Vergrößerung wurde hier bewusst als Stilmittel benutzt.


INFRArot #1  Wilde Bilder, 1983


INFRArot #3, 1984, schlechte Bilder


INFRArot #5, 1985,

Geschmacklose Bilder


INFRArot #9, INFRArot reLoaded, Dezember 2013


INFRArot #11, Psychosis

Januar 2015 Coverprint


INFRArot #12


Toi et Moi pour Toujours #2


Toi et Moi pour Toujours #2

Doublepage. Left side: DeePee – Portrait Camille Philibert


Toi et Moi pour Toujours #2

Doublepage. Left side: DeePee – Portrait André Peltre


INFRArot issues 1 to 8


INFRArot #5, Pictures of bad Taste: Bruno Richard & Pascal Doury


INFRArot #5, Pictures of bad taste: DeePee & Jacques Élie


INFRArot #5, Pictures of bad Taste: DeePee & Bruno Richard


Bei ihrem nächsten Besuch in Wiesbaden brachten die beiden dann das druckfrische Heft mit. Der Titel: ‘Toi et Moi pour toujours’ (Du und ich für immer). Ich war begeistert, auch wenn ich mir noch immer nicht vorstellen konnte, wie man das unter die Leute bringen sollte.

 

Als ich das nächste Mal nach Paris kam, verstand ich dann langsam mehr. Camille und Jacques-Élie führten mich zur Bücherei ‘La Hune’ mit einer ausgezeichneten Kunstbuchabteilung und einer kleinen Ecke mit weiteren Graphzines und Künstlerbüchern. Und dann war da natürlich am Boulevard Saint Germain der unbeschreiblich schöne Laden von Jacques Noel ‘Les Yeux Fertiles’, der Vorläufer des heutigen ‘Un Regard Moderne’ in der 10, Rue Git le Coeur in Paris. Diese Bücherei war vollgestopft mit Graphzines, Comics und absolut außergewöhnlichen Künstlerbüchern. Wenn man in diese Bücherei hinein ging, konnte man einfach nicht wieder hinaus gehen, ohne einen ganzen Stapel absolut ungewöhnlicher Schätze gekauft zu haben, auch wenn wir als Studenten kaum Geld hatten.

 

Es dauerte nicht lange und ich hatte Blut geleckt: So etwas wollte ich in Deutschland auch machen und ich überlegte mir, wie ich das am besten hin bekommen könnte – die Produktion durfte ja nichts kosten. Offsetdruck wie bei ‘Toi et Moi pour toujours’ war für mich unbezahlbar. Aber ich hatte gesehen, dass viele der anderen Graphzines fotokopiert waren. Für eine kleine Auflage müsste das finanzierbar sein. Dann fiel mir ein, dass meine künstlerische Technik ja der Siebdruck war und ich dachte mir, den Umschlag könne ich ja selbst drucken, um damit ein bisschen Farbe für mein Heft zu haben.

Dann brauchte mein Graphzine natürlich einen Namen. Meine damalige Freundin Uli Meindl machte den Vorschlag, es ‘Infrarot’ zu nennen. Es war stylistisch die Zeit der Neuen Deutschen Welle mit Gruppennamen wie ‘Ideal’, ‘Fehlfarben’ und ‘Extrabreit’. ‘Infrarot’ hörte sich gut an. Ich bat meinen Freund, den Grafiker Mani Hertzigkeit, das Logo zu entwickeln und er machte das für mich. Ich habe es ab Heft 5 verändert, aber die Schreibweise mit einem versal geschriebenen ‘INFRA’ und einem klein geschriebenen ‘rot’ blieb. Später wurde INFRArot auch mein Arbeitsname.

Wessen Bilder sollte ich neben meinen eigenen zeigen? Natürlich die von Camille und Jacques Élie. Nicht nur weil ich das Graphzine durch sie erst kennen gelernt hatte, sondern weil sie auch einfach klasse Bilder machten. Die beiden gaben mir eine Telefonnummer. “Der Typ heißt Bruno Richard und macht Bücher. Ruf ihn an, sag, was du machst und frag ihn, ob du ihn mal besuchen kannst.” Für einen scheuen Menschen, der ich damals war (und auch heute noch bin), war das eine beängstigende Aufgabe. Wer war ich denn, dass ich einen wildfremden Künstler, der großartige Sachen machte (ich hatte sein Buch ‘Sexy Politzei’ bei ‘Les Yeux Fertiles’ gekauft), einfach so anrufen konnte? So etwas war in Deutschland undenkbar. 

 

Trotzdem schaffte ich es irgendwie und es war gar nicht so schlimm, wie befürchtet. Bruno war nett und er erlaubte mir, einige Seiten aus dem Buch in INFRArot abzudrucken. Es kamen noch ein paar Studienkollegen dazu und das erste Heft stand. Ich druckte den Umschlag in 3 Farben im Siebdruck und fotokopierte die Innenseiten. Alles wurde per Hand gefalzt und zusammengetackert. Am Ende wurde das ganze noch mit einem Cutter bündig geschnitten und mit einem Vakuumsauger für Gefriergut eingeschweißt.

 

Alle weiteren Hefte bis einschließlich Heft 8, das 1987 erschien, wurden (abgesehen vom Endschnitt, den mir eine befreundete Druckerei kostenlos machte) genauso per Hand produziert. Allerdings druckte ich ab Ausgabe 2 das komplette Heft im Handsiebdruck, zunächst einfach, weil es billiger war als die teueren Fotokopien. Natürlich konnte ich so auch im Innenteil Farbe benutzen und es wurde mit jedem Heft farbiger.

Was mir anfangs gar nicht so klar war: Ein Graphzine, im Handsiebdruck produziert, war 1983 noch etwas ganz ungewöhnliches, heute ist es fast Standard. Jacques Noel und La Hune nahmen INFRArot vom ersten Heft an in ihr Programm auf und es bekam erfreulich schnell einen Namen in der Szene und alle, die ich nach und nach dazu einlud, machten mit. 

Künstler aus Frankreich (zugegebenermaßen die Mehrzahl, weil ich hier die meisten Freunde habe), den USA, Spanien, Schweden und natürlich Deutschland zeigten Ihre Bilder, von denen die farbigen erst beim Druck im Original entstanden. Willem berichtete in seiner Kolumne in Libération von jedem neuen Heft, Art Spiegelmann, den ich bei einem seiner Besuche in Paris traf, berichtete in RAW usw., das Heft wurde in Insiderkreisen schnell bekannt. Mit den Einnahmen konnte ich immerin die Farben und das Papier für das nächste Heft finanzieren.

1987 stellte ich eine Ausstellung mit den besten Künstlern aus INFRArot zusammen, die unter dem Namen ‘INFRArot und seine Bande’ in Toulouse, Barcelona, Wiesbaden und Mannheim gezeigt wurde.

1988 bekam ich einen Job als Marketingleiter von Swatch in Deutschland und fast zeitgleich endete für eine lange Zeit meine künstlerische Produktion und damit auch INFRArot. Damit wäre die Geschichte von INFRArot fast zu Ende gewesen.

Aber dann nahm ich nach einem Dornröschenschlaf von 25 Jahren 2013 die Kunstproduktion wieder auf und als ich im Oktober nach langer Zeit wieder einmal die alten Freunde in Paris besuchte, meinte Placid, ich müsse INFRArot unbedingt wiederbeleben.

So erschien Ende 2013, 30 Jahre nach Heft 1 unter dem Titel ‘INFRArot reLOADED’ die Ausgabe 9. Beteiligt waren die Besten aus der alten Mannschaft, also wirklich ein ‘reload’.

Ausgabe 10, Künstlerportraits, erschien im Juli 2014. Neben einigen der alten kamen hier erstmals neue Künstler dazu.

In Heft 11, Psychosis, sind erstmals mehrheitlich neue Künstler vertreten. Es erschien im Januar 2015.

Heft 12, adora quod incendesti, incendes quod adorasti – Religion, erschien im Juni 2015. Heft 13 folgte im Herbst. Heft 14 ‘Herrenrasse’ ist gleichzeitig auch der Katalog meiner gleichnamigen Ausstellungsserie.

Seit 2013 arbeite ich daran, das Medium ‘Graphzine’ in Deutschland weiter zu promoten, indem ich einen Vortrag über die Entstehung der Graphzines im Paris der 70er und 80er Jahre halte (Berlin, Darmstadt, Mainz) und Workshopd für junge Künstler und Kunststudenten anbiete. Darüber hinaus gibt es eine Ausstellung ‘The Art of Graphzines’, die für interessierte Organisationen buchbar ist.

 

Die neuen Hefte (ab Heft 9) sind heute im Online-Shop und in einer ganzen Reihe von sehr guten Buchhandlungen zu kaufen, aber die alten Hefte sind leider restlos ausverkauft. 


YouTube

Für die Retrospektive INFRArot im Mai 2015 in Mainz habe ich die ganze INFRArot-Collection zu einer Slideshow zusammengestellt und auf YouTube bereitgestellt.


At the beginning of 1983 my new artist friends Camille Philibert and Jacques-Élie Chabert told me that they wanted to publish a “Graphzine” and asked me whether I would like to contribute some pictures to it.

“What the hell is a ‘Graphzine’” I asked and they patiently tried to explain it to me. But how do you explain what it is to someone who hasn’t seen anything like that before? It was supposed to be something like a magazine however; predominantly our own pictures would be printed. So it was something similar to a small art exhibition. An exhibition in the form of a booklet.  I didn’t understand a word of it.

However, seeing as I was always interested in new things and in exhibitions anyway, I gave them a couple of my pictures and said they could do what they liked with them. I still didn’t know what it was supposed to be and couldn’t really imagine that anything useful would come out of it. Above all – who would buy something like that? and moreover where would they buy it?

On their next visit to Wiesbaden, the two of them brought the magazine “hot off the press”. The title was ‘Toi et Moi pour toujours’ (You and I Forever). I was thrilled, despite the fact that I still couldn’t imagine how we would get it going.

During my next visit to Paris I slowly understood more. Camille and Jacques-Élie took me to the bookshop ’La Hune’, where there was a superb art books department and a small corner containing further ’Graphzines’ and artists books. Then on the Boulevard St. Germain there was of course the indescribably beautiful shop belonging to Jacques Noel ‘Les Yeux Fertiles’ (the Fertile Eyes) the forerunner of the modern-day shop ‘Un Regard Moderne’ (A Modern Look) to be found in the Rue Git le Coeur no. 10, Paris. This bookshop was full of ‘Graphzines’, comics and absolutely extraordinary artist’s books. If you went into this bookshop you couldn’t possibly come out again without having bought a pile of totally remarkable treasures – even when we were students and didn’t have much money.

It didn’t take long for me to ‘taste blood’. I wanted to do something like this in Germany too and thought about the best way to go about it. Production mustn’t cost anything. Offset printing like in ’Toi et Moi pour toujours’ was beyond my means. But I noticed that many of the other ‘Graphzines’ had been photocopied. A small run should be therefore affordable. Then I remembered that my artistic technique lay in screen printing and I thought I could at least print the cover myself and thus add some colour to my booklet.

Then of course my ‘Graphzine’ needed a name. Uli, my girlfriend at that time suggested I call it ‘Infrarot’ (Infrared).  Stylistically it was the era of the ‘German New Wave’ with group names such as ‘Ideal’, ‘Fehlfarben’ and Extrabreit’. ‘Infrarot’ sounded good. I asked my designer friend Mani Hertzigkeit to develop a logo which he did. I changed it after edition 5 but the spelling of INFRA written in capital letters and the word ‘rot’ (red) in small letters remained. Later on, the name ‘INFRArot’ also became my working name.

Whose pictures should I show together with mine? Of course, those from Camille and Jacques-Élie. Not only because it was through them that I learned about Graphzines, but because they also produce super pictures. The two of them gave me a telephone number. The guy is called Bruno Richard and he makes books. “Call and tell him what you are doing and ask him if you can visit him sometime”. For a shy person as I was then (and still am today) this was a frightening task. Who was I to be able to just call a complete stranger – an artist who did such magnificent things? (I had bought his book ‘Sexy Politzei’ at ‘Les Yeux Fertiles’). Something like that was unthinkable in Germany. I managed it somehow and it wasn’t as bad as I thought. Bruno was kind and he allowed me to reproduce several pages from his book into INFRArot. A couple of colleagues of my artschool were added as well and the first issue was complete. I silkscreened the cover in 3 colours and photocopied the inside pages. Everything was folded and stapled by hand. Finally the whole thing was cut evenly with a cutter and sealed by a vacuum pack machine normally used to shrink wrap frozen food. All further editions, including number 8 which appeared in 1987, were produced in this way by hand (apart from the final cut which was carried out by a friend at a printing press). However, as of edition number 2, I silkscreened the whole booklet, which was simply cheaper to do than the expensive photocopies. By doing this, I could use colour on the inside pages and thus things became more colourful with each edition.

What wasn’t clear to me at the beginning was that a ‘Graphzine’ produced using screen printing was something unusual in 1983. Today it is almost standard. Jacques Noel and ‘La Hune’ took up the very first INFRArot issues into their stock and it quickly made a name for itself in the scene. Everyone that I gradually invited to contribute - did so. Artists from France (admittedly in the majority, because I have the most friends here) but also USA, Spain, Sweden and of course Germany showed their pictures, whereby the ones in colour actually only appeared in the original when they were finally printed. Willem reported in his column in Libération about each new edition and Art Spiegelmann, whom I met on one of his trips to Paris, reported in RAW etc. The booklet soon became well known in insider circles. With the proceeds, I could at least buy colour and paper and so finance the next edition. 

In 1987 I arranged an exhibition of the best artists from INFRArot  with the title ‘INFRArot und seine Bande’ (INFRArot and his Gang) which was shown in Toulouse, Barcelona, Wiesbaden and Mannheim.

In 1988 I was appointed Head of Marketing at ‘Swatch Germany’ which simultaneously ended my artistic production and that of INFRArot for quite a long time. At this point, the story of INFRArot would have been at an end. 

However, in 2013 after more than 25 years in a state of ‘Sleeping Beauty’ I took up the artistic production again. Then in October, after visiting with old friends in Paris, Placid reckoned I just had to resurrect INFRArot.

Therefore at the end of 2013, 30 years after the appearance of the first issue, edition number 9 came out with the title ‘INFRArot reLOADED’ and the show goes on: INFRArot #10 ‘artist’s portraits’ followed in July 2014, INFRArot #11 ‘psychosis’  in January 2015 and INFRArot#12 ‘adora quod incendisti, incendes quod adorasti in June 2015. Issue 13 ‘Hell’ followed in October. #14 ‘Herrenrasse’ serves at the same time as a catalogue of my exhibition-series with the same title.

Since 2013 I’m trying to promote the ‘graphzines’ in Germany by giving lectures on the beginning oft the media in Paris in the 1970ies/1980ies (Berlin, Darmstadt, Mainz). There’s also an exhibition ‘The Art of Graphzines’ about INFRArot from 1983 up to now. It can be booked by interested organisations.

Nowadays, the new booklets can be bought in  my online-shop and in a variety of very good bookshops, but the older editions are unfortunately all sold out.


YouTube

I created a slideshow with all the pictures of the issues #1 to #12 for the INFRArot retrospective ‘The Art of Graphzines’, shown in Mainz in may 2015 and presented it on YouTube.